Schon erstaunlich, wie sich alles wendet. Der Typ, der nie mein Freund sein wollte entfernt sich immer mehr von mir und es versetzt mich zum ersten Mal seit gefühlter Ewigkeit nicht in Panik. Meine Blicke aufs Smartphone, in Erwartung, ob er mir geschrieben hat, sind zwar noch reflexartig, denn immerhin habe ich 14 Monate eigentlich nichts anderes getan, als erwartungsvoll auf mein Handy zu starren um es dann wieder enttäuscht wegzulegen, da kein Lebenszeichen von diesem einen Kerl! Gleichwohl ist es mir aber eine Freude, wenn er dann tatsächlich mal schreibt, obwohl es eigentlich immer nur Stuss ist. Kurz darauf verspüre ich mittlerweile immer öfter eine Mischung aus Gleichgültigkeit und Enttäuschung, weil mir bewusst wird, dass er eigentlich nie was kapiert hat. Im Gegenteil. Mir wird immer schmerzlicher klar, dass er diese unreife Kindlichkeit in sich trägt und dass diese nicht gespielt ist. Nie gespielt war. Ich habe immer geglaubt, hinter ihm verbirgt sich ein psychopathisches Arschloch, ein mieses Subjekt, welches nur auf unserer Erde wandelt, um Menschen zu verletzen.
In Wirklichkeit aber ist er ein kleiner Junge. Ein kleiner Arschloch-Junge, okay. Aber eben klein, dumm und infantil.
Ich darf ihm nicht böse sein
Mein Mantra hat sich von „Ich wünsche ihm alles Schlechte“ in „Ich darf ihm nicht böse sein“ gewandelt. Im Grunde war er immer so, wie er ist. Und er wird sich niemals ändern. Ich glaube, ich bin einfach besser bedient, wenn ich ihn als guten Kumpel behalte, als es mir zur unmöglichen Aufgabe zu machen, ihn in einen beziehungsfähigen Mann zu verwandeln. Und in einen erwachsenen Mann!
Bei unserer letzten Begegnung wurde mir zum ersten Mal ganz schmerzlich bewusst, dass er sich niemals ändern wird. Er spielte mir auf seinem Handy Mallorca-Hits vor, während er mir zu den Liedern seine eigens kreierte Choreographie präsentierte. Und wie ich ihn so vor mir tanzen sah, in seinen orangenen Bermudas, den blauen Socken und seinen Fußball-Schuhen, obwohl er überhaupt nicht Fußball spielt, fühlte ich plötzlich rührende Zuneigung für ihn. Aber es waren nicht die Art Gefühle, die man für jemanden hat, mit dem man später noch zusammen ins Bett gehen will. Es war eine Empfindung, wie man sie beim Anblick eines Hundewelpen hat. Und auch wenn ich ihn danach noch unzählige Male küsste und berührte und ich mich auch von ihm berühren ließ, waren es nicht die Berührungen, die mich früher in Verzückung gebracht hatten.
Es war sehr schön, und doch so anders.
Und ich verließ ihn an jenem Abend und wusste, dass ich ihn liebe. Aber inzwischen anders.
Es macht mich traurig, dass er nie der Mann war, den ich mir gewünscht habe. Melancholisch betrachtete ich heute Nacht den Vollmond und dachte an ihn. Ich habe in ihn immer einen Menschen gesehen habe, der er nicht ist. Und jetzt weiß ich das plötzlich. Und ich weiß jetzt auch wieder, dass ich mich erst einmal um mich selbst kümmern muss.
Wer bin ich?
Ich weiß, dass ich viele Baustellen in mir selbst trage. Diese Baustellen machen sich bemerkbar durch ein verzerrtes Selbstbild. An manchen Tagen wache ich auf und fühle mich so unendlich hässlich und dumm. An anderen Tagen strotze ich nur so vor Selbstvertrauen und Stolz. Im Grunde kenne ich mich bis heute nicht richtig. Ich bin 34 und zerrissen. Ich weiß, dass ich mich auf Bildern, die Freunde von mir machen oft nicht wiedererkenne. Zu fett, strähniges Haar, müder Teint. Ich verstehe dann oft nicht, wenn andere diese Bilder schön finden. Ich erkenne mich erst, wenn ich hundert Selfies von mir schieße und unzählige Filter darüber lege. Erst dann erkenne ich mich.
Die Fremde da auf dem Selfie.
Ich frage mich manchmal: Wie oft muss ich denn noch joggen gehen, bis mein Hüftspeck sich endlich in Luft auflöst oder mein Kreuz schmäler wird? Oder: Was muss ich denn noch alles tun, bis mein Teint so makellos wird wie bei anderen Mädchen?
Und dann betrachte ich sie: Die jungen Dinger. Wie sie an mir vorübergehen: Klein, zierlich, dünn, jung. Und ich frage mich utopischerweise: Wie fühlt es sich als Mann im Vergleich wohl an, einen solch kleinen, zierlichen Körper zu berühren und dann mich, die immer schon zu groß und zu breitschultrig war? Und ich kann mir nie auch nur im Geringsten vorstellen, dass sich mein eher robuster Körper jemals weicher anfühlen könnte als der einer kleinen, zierlichen Frau. Und dann bricht jedes Mal etwas in mir zusammen. War ich zuvor voller Selbstsicherheit und fand mein Spiegelbild umwerfend, zerschmettert es mich unverzüglich bei diesen Gedanken. Und dann weiß ich wieder, wie fett und hässlich ich eigentlich bin.
Weil ich Kurven habe. Weil ich Normalgewicht habe. Weil ich kein Model bin.
Warum orientiere ich mich immer nur an denjenigen, die besser, hübscher und toller sind als ich?
Und warum vergleiche ich mich mit jeder halbwegs gutaussehenden Frau da draußen?
Ich weiß, ich mache mich kaputt, denn eigentlich weiß ich doch, wie ich aussehe und wer ich bin. Ich bin eine Frau, kein kleines Mädchen mehr. Ich werde niemals Größe 36 tragen und tendiere immer zu 38 oder 40. Ich bin groß. Für viele zu groß vielleicht, denn viele Männer sind in der Regel ein paar Zentimeter kleiner als ich. Ich kann keine hohen Schuhe trage, weil ich sonst aussehen würde wie ein Transvestit. Meine Oberschenkel sind übersät mit Dellen und Löchern. Selbst die buntesten Shorts dieser Welt richten das Augenmerk immer auf meine Beine mit den Dellen. Ich habe kräftige Oberschenkel und trotz Sport bis zum Umfallen werden sie nicht dünner. Ich hasse meine Oberschenkel und ich werde niemals tagsüber Hotpants tragen können. Und wenns draußen dunkel ist auch nur bedingt. Meine Taille ist zwar relativ schmal, aber die Hüften doppelt und dreifach so breit. Ich habe einen breiten Rücken und gerade Schultern. Ich hätte Schwimmerin werden sollen, sagen viele zu mir. Ich habe ein rundes, etwas asymmetrisches Gesicht und eine ziemlich breite Nase. Mein Teint ist frisch und trotzdem zu Unreinheiten neigend. Ich habe hohe Wangenknochen und viele halten mich für eine Russin. Ich mache mir oft Scherze daraus und erzähle den Leuten, ich wäre eine schwedische Russin. Denn meine Haare sind schwedenblond. Ich hasse meine Augenbrauen, denn sie waren schon immer unterschiedlich geschwungen. Keine Kosmetikerin dieser Welt hat es jemals hinbekommen, meine Augenbrauen jemals symmetrisch gleich zu zupfen. Ebenfalls hat es nie eine hinbekommen, meine Haut makellos und feinporig zu machen. Trotz brennender Fruchtsäure-Behandlungen und Peelings. Meine Augen sind ziemlich klein, im Vergleich zu meinem restlichen Gesicht. Viele sagen, ich hätte schon fast mongolische Augen, mandelförmig und fast schwarz. Und trotzdem sind sie fast gar nicht mehr da, wenn ich herzhaft lachen muss und sie zusammen kneife. Meine Haare sind lang und langweilig. Ich bekomme keine anständigen Beach-Wellen hin, wenn ich ausgehe, weil sie einfach zu wenig Schwung haben und nach ein paar Minuten einfach wieder runterhängen.
Ich bin eine nachdenkliche Person. Ich wirke unnahbar, aber wenn man sich wirklich für mich interessiert, kann ich reden wie ein Buch. Ich kann wild sein und träge. Ich kann andere Menschen mit meinem Humor die Tränen in die Augen treiben. Aber ich verstecke auch meine Unsicherheit hinter einer Maske aus Zynismus. Dass ich unglücklich bin, sieht man mir oft an. Nicht jedoch, wenn ich mich verstelle. Und das kann ich gut, denn ich konnte das schon als Kind. Um dazuzugehören war ich oft jemand anderes. Wenn es sein musste, habe ich sogar meine Herkunft verleugnet, dabei komme ich aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Bereits als Kind begann ich, Geschichten zu schreiben. In einer ging es darum, dass ich mich immer in ein anderes Mädchen verwandeln konnte, wenn es brenzlig wurde oder ich im Leben bestehen wollte. Offensichtlich wollte ich als Kind schon nicht die sein, die ich bin. Ich wollte immer anders sein, akzeptierte mich nie. Viele Jahre später war ich auch immer eine andere, sobald ich Drogen nahm. Ich wollte die Geheimnisvolle sein, das Partygirl. Die Eloquente. Ich glaubte, ich wäre das alles nicht, wenn ich nüchtern war.
Seit ich denken kann, lehnte ich mich immer ab.
Was man ausstrahlt, zieht man an, oder?
Gab es Männer, die mich aufrichtig liebten, behandelte ich sie immer wie Dreck. Denn insgeheim wusste ich: Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden. Kam aber einer daher, der mich schlecht behandelte, zeichnete ich ihn regelrecht aus, dass er das tat, denn anders verdiente ich es ja nicht.
Bis heute lebe ich mit der Auffassung, es einfach nicht wert zu sein. Wert zu sein, geliebt zu werden. Wert zu sein, tatsächlich Schönheit zu besitzen. Und es wert zu sein, wirklich eloquent und gebildet zu sein, ohne Alkohol oder Drogen intus zu haben.
Ich wandele seit jeher zwischen Grenzen. Ich habe sie mir selbst gesteckt.
Warum steckt sich ein Wildpferd Grenzen?
Und warum bin ich nicht frei? Frei von Zweifel und selbst auferlegten Qualen, indem ich mich ständig ablehne und vergleiche und kritisiere und tadele?
Ich wäre es gerne. Frei. Ich kleide mich nicht umsonst oft wie eine Zigeunerin.
Gypsy in disguise.
Ich habe einen Traum. In diesem Traum laufe ich durch eine Menschenmenge und fühle mich federleicht und perfekt. Ich habe die Selbstsicherheit eines Löwen und die Anmut eines Araber-Pferdes. Ich schaue weder nach links noch nach rechts, vergleiche mich mit niemandem. Bin einfach da und fühle mich wohl in meiner Haut. Doch leider wird das wohl immer ein Traum bleiben…